Einen Spaziergang nach Lauscha im Jahre 1882

Aus Richtung Steinheid über Limbach kommend, schlagen wir den Weg nach Lauscha, oder, wie es im Volksmund heißt, nach der „Lausche" ein. Auf demselben haben wir die schönste Gelegenheit zu der Betrachtung: wie übergroß schon der Tribut war, den die Menschen von den Waldungen forderten. Die Eisenwerke allein verbrannten jede Woche den Bestand einer sieben Morgen haltenden Waldung, und die Glashütten verbrauchen jährlich 1200 Klafter. Während die Groß- und Kleinindustrie des Oberlandes fast ganz auf Holz beruhte, wurden auch noch vom Fiskus große Holzmengen in das Ausland (Coburger Land) verflößt. Schon Martin Luther äußerte über diese Waldverwüstung: "Es werde noch vor dem jüngsten Tage wie an guten Freunden so an wildem Holze Mangel sein". Auf Kosten des Waldes vermehrten sich aber die Kartoffeläcker.

Wir kommen auf unserem Bergweg nach zweistündigem Waldgang bei der Göritzmühle in dem düster-romantischen Steinachtal an, und wandern wieder straßauf, um uns abermals nach einer halben Stunde des Anblicks der lustiger Lausche zu erfreuen; denn so und nicht anders verdient der seltsame Ort genannt zu werden.

In Lauscha steckt eine kerngesunde Triebkraft. Die Häusergruppe von 9 Familien zu Ende des 30jährigen Krieges war vor dreißig Jahren schon zu einem Dorfe von nahe an vierzehnhundert Seelen angewachsen, und jetzt zählt das Dorf Lauscha 3.000 Einwohner und könnte alle Tage eine Stadt werden.

Die erste Sehenswürdigkeit des Ortes ist die alte Glashütte, kurz „die Hütt" genannt. Die beiden Gründer hatten sie zu 12 Ständen eingerichtet, von welchen die sechs auf der Abendseite dem Greiner, die sechs auf der Morgenseite dem Müller gehörten. Die Besitzverhältnisse dieses Dutzend haben sich insofern geändert, als jetzt sechs Glasmeister einen ganzen, sechs je einen halben Stand und zwei zusammen drei Stände haben. An jedem Stand arbeiten zwei Gesellen.

Die Hauptbeschäftigung ist das Röhrenziehen. Aus dem Hafen in der Ofenglut heraus holt der eine Geselle mittels der sogenannten eisernen Rohr- oder Hohlglaspfeife flüssiges Glas und dreht es, Luft durch das Rohr einblasend, auf einer Platte, bis es eine Walze von bestimmter Länge und Stärke bildet; dann heftet der andere Geselle die Glaswalze mit dem anderen Ende an ein sogenanntes Bindeeisen, und nun laufen Beide, der mit der Pfeife fortwährend Luft einblasend, auseinander und ziehen so das Glas zu Röhren von beliebiger Stärke. In Stücke verkleinert, gehen dieselben in die Hände der Lampenarbeiter über. Außerdem stellt man noch Glasdraht zum Spinnen der Glaswolle, Glaskugeln aller Art, dagegen Trink- und Arzneigläser nur noch selten her. In der Hütt herrscht, trotz der nicht leichten Arbeit, immer munteres Leben, erleichtert durch das allgemeine „Du", das in den Kreisen der Arbeiter alle Vornehmigkeitsgelüste Einzelner unmöglich macht.


Die Lampenarbeiter vertreten die Hausindustrie. Früher war die Arbeitslampe auf dem Werktisch erst mit Talg gespeist, dann mit Paraffin, abwechselnd mit Petroleum gefüllt. Das Gesicht des Arbeiters kam möglichst nahe an die Flamme, weil er die nötige Stichflamme selbst blasen mußte - für Augen und Lungen eine schwere Aufgabe. Dies dauerte bis 1867, wo der Segen der Gasanstalt nach Lauscha kam. Seitdem laufen die Gasröhren durch den ganzen Ort, zu jedem der Schwalbennester an den Bergen hinan, und sogar zu den Nachbarorten Igelshieb, Ernstthai und Neuhaus a.R. hinauf, die alle mit Lauschger Gas arbeiten.

An der Lampe werden jetzt vorzugsweise Glasperlen, Puppen- Tier- und Menschenaugen und Spielzeug, reizende Früchte und farbenprächtiger Christbaumschmuck hergestellt; die ehedem vielproduzierten Glasfiguren haben jedoch der billigen und massenhaften Herstellung aus Porzellan weichen müssen. In diesem Augenblick floriert der Glasperlenvertrieb in wahrhaft großartiger Weise, beschäftigt alle Hände von den ältesten bis zu denen der Kinder und bringt ansehnlich Geld und vermehrte Fröhlichkeit in den Ort. Besonders sind's die mattierten Hohlperlen und die Fischperlen, welche jetzt verlangt werden. Es ist eine Lust in eine Stube zu treten und zu beobachten wie geschickt groß und klein Hand anlegen. Nur eines fehlt oft; das Singen geht nicht, weil alle das hübsche Mundwerk zum Blasen gebrauchen.

Eine Berühmtheit besitzt Lauscha mit Ludwig Müller-Uri, der die Kunst der Herstellung von Menschenaugen zur höchsten Vollendung erbracht hat und alle Konkurrenten, selbst die früher alleinherrschenden Pariser aus dem Felde geschlagen hat. Anderswo, als in Lauscha, würde man eine solche Kunstindustriegröße, welche mit goldenen Medaillen der größten Ausstellungen geschmückt ist, wenn auch nicht in einem Palaste, so doch in einem stattlichen Hause suchen. Mein Lauschaer Freund führt mich den steilen Pfad über eine der hohen Seitengassen hinauf und richtig zu einem Schwalbennest hinan, die am Berge hängen. Über eine Steintreppe steigen wir in's Innere. Hier erfreut uns allerdings ein Wohnzimmer mit freundlich bürgerlicher Einrichtung, die allzeit wohltut. Wir verstehen aber die Harmonie des Äußeren und Inneren dieses Hauses erst, als uns der Hausherr selbst begrüßt hat: der einfache, bescheidene Mann, der gleichwohl weiß und fühlt, was er geleistet hat. Nachdem wir seine reiche Sammlung eigener und fremder Augenmuster gesehen, folgten wir ihm und seinem jüngsten Sohn auf einer geländerlosen schmalen Stiege in sein Atelier, hätte ich beinahe geschrieben, nein in seine Werkstatt, die an Schmucklosigkeit nicht übertroffen werden kann. Und in diesem Raum hatte Müller-Uri sein Leben lang gearbeitet. Müller's Sohn setzte sich sofort an den Werktisch, entzündete die Gasflamme desselben und stellte, während sein Vater jede einzelne Hantierung und Glasröhrenwahl erklärte, ein Auge mit so prachtvoller Iris her, daß es dem schönsten Frauenantlitz zur Zierde hätte gereichen können.

Wir beschränken uns hier auf diese wenigen Mitteilungen, weil der Gegenstand einen besonderen Artikel verdient. und erhalten weitere Auskunft über die weitere Familie und dem verwandten Zweig des Hauses in Wiesbaden.

Wir steigen nun wieder von der Höhe hinab, um noch einen Blick auf die Arbeit und schließlich auf die Vergnügungen der Lauschaer zu werfen.

Ein Ort, für dessen Hauptindustrie noch ein halb Dutzend andere Ortschaften fast Haus für Haus tätig sind, und dessen Produktionswert in Glaswaren allein auf 1.200.000 Mark zu veranschlagen ist, kann selbstverständlich nicht nur für die nächste Umgebung arbeiten, sondern muß seinen Absatz in der ganzen Welt suchen.

Neben der Glasindustrie bestehen im Ort zwei Porzellanmalereien. Im Besitz der älteren, von Ens und Greiner, befindet sich eine Gemälde und Skizzensammlung von Jagdund Schlachtstücken, die kein Besucher des Ortes ungesehen lassen sollte. Eine neue Porzellanfabrik ist im Aufblühen begriffen.

Lauscha hat zwei Schulen und eine Kirche; in jenen wirken sechs Lehrer und ein Zeichenlehrer, in dieser unterstützt ein geistlicher einen musterhaften Kirchenchor. Ein Beweis, daß mit Fleiß und Fröhlichkeit sich gar wohl bei diesen Waldleuten auch die Frömmigkeit vereinen kann. Trotzdem heißt es dort nicht„ Ora et labora" sondern „Arbeite und bete". Als einmal bei einer Kirchenvisitation der Obergeistliche die Stände der Frauen ziemlich leer fand und fragte: „Wo sind denn diese?" erhielt er die laute Antwort: „Sie Sitze derhehm und schneide Schmehlz. " 21

Da gegen den Fabrik- und Hausarbeiter des Waldes oft der (leider nicht immer ungerechte) Vorwurf erhoben wird, daß es bei ihm „wie gewonnen, so zerronnen" heiße, so ist hier die Bemerkung am Ort, daß in Lauscha ein Spar- und Vorschußverein besteht, dessen Gesamtumsatz im Jahr 1881 sich auf 1,106,680 Mark belief.

Der heitere Geist, der in dem Dorfe seit den Tagen seiner Begründer herrscht, äußert sich nicht blas bei der Arbeit, auf der Straße und im Wirtshaus nach üblicher Landbewohnerweise, sondern der gesellige Sinn hat auch höhere Aufgaben gestellt, und es ist für ein Dorf wohl aller Ehre werth, daß dort zwei Musikvereine, zwei Gesangvereine, zwei Turnvereine, ein Bildungsverein und sogar eine Theatergesellschaft mit ständiger Bühne ein geistig frisches Leben führen. So lebt in seinem Waldwinkel dieses intelligente, fleißige gemütliche Völkchen und ist mit Recht stolz darauf, wenn es rings umher heißt: „Die Lausche bildet eine kleine Welt für sich. "

Sollte es nicht wert sein, einen solchen Ort aufzusuchen ?

Aus „Gartenlaube", 1882 von Friedrich Hofmann


Startseite Familienforschung - Seiten-Verzeichnis - Nachnamen-Index - Tafeln - zurück zur Genealogie-Hauptseite - zurück zur Familientreffseite

alle Angaben ohne Gewähr
Autor:
Franz-Thomas Fischer
Düsseldorf

Diese Seite wurde erstellt mit John Cardinal's Second Site v1.9.16.
WWW-Auftritt aktualisiert am 19.11.2013 um 22:42:52 aus VOGELOERTELFISCHER040914; 753 Personen